So 6. Sep 2015, 23:15
Anfänglich sind die Konzerte in San Sebastian Teil einer Spanientournee gewesen und wir sind in Bussen über Land gereist. Dementsprechend wenig Zeit blieb uns, die damals noch leicht heruntergekommene Stadt mit ihren zahlreichen Altbauten, die von längst vergangener Pracht zeugten, zu entdecken: Ankunft am Nachmittag – Einspielprobe und Konzert am Abend – Nacht durchzechen – Ausschlafen auf der Weiterfahrt am nächsten Vormittag. Später dann waren die Gastkonzerte Teil der dort immer berühmter und internationaler gewordenen Musikfestspiele. Dementsprechend reiste man mit dem Flugzeug an und hatte deutlich mehr Zeit, die zur Urlaubs- und Rentnermetropole sich wandelnde Stadt und ihre Umgebung zu erkunden. Von da ab mietete ich mir gerne eine Vespa am Strand, um ins Landesinnere oder die Küstensträßchen entlang zu knattern.
Einmal, es mag etwa 15 Jahre her sein, da suchte ich heimkehrend von einem Abstecher nach Saint-Jean-de-Luz die verborgenen Sträßchen in Küstennähe, die mich aber nicht ganz nach Hause trugen, sondern in einem Vorort am Industriehafen Donostias ins Leere liefen. Hier stand ich nun in Lezzo an einer roten Ampel, die auch nach minutenlanger Wartezeit keine Anstalten machte auf Grün zu schalten. Ich fasste mich in Geduld und nahm erst mal ein Dämpfchen. Es mochten weitere 10 Minuten vergangen sein, ich war bereits im Begriff umzukehren, da kamen mir doch tatsächlich drei Fahrzeuge entgegen. Die erzwungene Gelassenheit schien sich auszuzahlen, ich fragte mich nur, was mich wohl hinter dem Stopplicht erwartete. Und tatsächlich, das Licht schaltete auf Grün!!! Etwas verunsichert fuhr ich los und begriff schon nach wenigen Minuten die Ursache für die ungewöhnlich lange Wartezeit. Urplötzlich befand ich mich in einer sich windenden hohlen schmalen kopfsteingepflasterten Gasse, die mitten durch pittoreske Natursteinhäuschen verlief, auf der einen Seite sah man in Küchen und Schlafräume, auf der anderen in Wohnzimmer. Nach einer Weile mündete das verwunschene Sträßchen auf einem alpin anmutenden Dorfplatz direkt am Wasser, der Behaglichkeit und Bedrohlichkeit gleichermaßen ausstrahlte, da zwischen Geranien und Wäscheleinen unzählige Parolentücher aufgehangen waren, betitelt mit Sturmgewehren und einer Sprache, die dem Mexikanischen mir ähnlich erschien. Ich begriff sofort wo ich mich befand, in der Wiege der ETA! Denn dies war zu lesen. Die anfänglichen Schauer, welche mir über den Rücken liefen, verwandelten sich bald in Staunen über die Herzlichkeit mit der ich in diesem von aller Obrigkeit vergessenen Nest empfangen wurde.
Heute ist dieser Ort zu einem Touristenmagnet gereift. Der Widerstand gegen die Spanische Regierung hat sich entspannt, die fehlende Präsenz jeglicher Ordnungsmacht aber ist geblieben, die Guardia Civil taucht hier niemals auf. Wie auch? Mannschaftswagen sind schon physikalisch nicht in der Lage, dort hin zu gelangen.
Hier ein Bild, welches vielleicht ein wenig die Stimmung von damals wiedergibt, als die wenigen hier verweilenden Menschen noch ausschließlich Einheimische waren

#52
Heutzutage ist dieser Ort kein Geheimtipp mehr und für Touristen gesperrt. Ich bin dennoch mit der Mietkarre reingefahren! Einfach deshalb, weil ich meinem Bruder und Heiko allzu großspurig die atemberaubende Einfahrt vorangekündigt hatte. Das war vielleicht ein Fehler, denn die autentischsten Momente konnten so fotografisch nicht erfasst werden