Mi 6. Jul 2016, 09:33
Das "Haus Europa" wankt, aber es steht noch.
Heute führe ich Euch aber noch mal in den doch eher georgisch anmutenden Teil des Landes.
Über die Wohnverhältnisse habe ich ja schon desöfteren berichtet. Man kann sich kaum vorstellen, wie ein Land, das derartig heruntergekommene Behausungen für seine Landsleute bereit stellt, jemals Teil der EU sein kann. Meine Augen gewöhnen sich immer noch nicht daran.
Hier ein Blick in eine Straße nahe eines etwas östlicher gelegenen, aber dafür sehr belebten Hauptplatzes in Tiflis. Typisch für die Häuser in Tbilisi sind natürlich die georgischen Erker, die so viele Häuser zieren bzw. vielleicht besser "einst zierten".
Diese Georgierin kehrt nach vollbrachtem Shoppingtrip zurück in ihr Zuhause.

#164
Im Stadtkern findet man viele Häuser in dieser Bauart. Gerade am Stadtrand – aber leider nicht nur da – türmen sich dagegen die Blockbauten in die Höhe. Sie erstrahlen größtenteils noch immer in "lebensfrohem grau". Alle Plattenbauten, so scheint es, sind von Tristess geprägt - alle? Nein, einer hält hier munter dagegen und bringt Farbe ins Spiel. Na, wer hat's endeckt?


#165
Herr über all diese "Schmuckstücke" ist er hier: Giorgi Margwelaschwili.

#166
Seit 2013 als Nachfolger von Präsident Saakaschwili im Amt. Er scheint beim Volk recht populär zu sein. Anders wäre es auch kaum möglich, dass er sich so unverholen unters Volk mischt. Hier am Unabhängigkeitstag auf der Rustaveli-Prachtstraße. Er wanderte am besagten Tag umringt von ein paar hilflosen Bodyguards die gesamte Straße entlang (für die Münchner ist die Straße in etwa mit der Leopoldstraße vergleichbar...), mitten durch die Menschenmassen, was sicher 1-2 Stunden gedauert hat und stellte sich bereitwillig für "Selfies" zur Verfügung. Man sagte mir, dass er aus recht einfachen Verhältnissen käme und er so am Boden geblieben sei.
Margwelaschwili ist natürlich nicht nur Herr über zahlreiche fragwürdige Immobilien, nein, er ist auch Oberhaupt der Menschen des Landes. Jung wie alt.
Sie gehört z.B. auch dazu.

#167
Der Name dieser kleinen Georgierin ist Sandra. Sie lebt das Leben, das viele Kinder in ihrem Alter dort leben. Die Eltern, beide Mitte zwanzig, sind gut ausgebildet und kämpfen dennoch ums Überleben. Die Mutter ist studierte Psychologin, arbeitet in einer Klink, wo man depressive Menschen behandelt. Ab und an sieht man sie auch mal im georgischen Fernsehn, wo sie fundiert als Expertin Auskunft gibt. Der Vater hat ein Studium der Luftfahrttechnik absolviert und arbeitet nun aus Ausfahrer für Socken (sogar deutsche). Sein Chef kauft aus Deutschland günstig Auslaufmodelle bzw. unverkaufte Ware der Sockenmarke "NUR DIE" zusammen und versucht sie in Tiflis an den Mann bzw. die Frau zu bringen.
Zusammen kommen Mutter und Vater auf ca. 500 Euro Monatsverdienst. Das reicht gerade mal fürs Nötigste. Sie wohnen zusammen mit Kind bei den Schwiegereltern in einer Dreizimmerwohnung in einem dieser schönen grauen Blocks – was immer wieder zu ernsten Verstimmungen innerhalb dieser Wohngemeinschaft führt. Für eine eigene Wohnung reicht das Einkommen leider nicht aus.
Dabei ist genau das ihr größter Wunsch und sie sind bereit dafür viel zu geben. Ein Lösungsversuch ist letztes Jahr gescheitert. Sie haben beide einen Deutschkurs beim Goetheinstitut in Tiflis belegt (deutsch boomt dort übrigens, da sich viele der jungen Menschen dadurch bessere Jobaussichten versprechen). Ihr Plan: Sie wollten für ein paar Jahre nach Deutschland gehen und dort bei einer Bäckerei als Verkäufer arbeiten um das dann hoffentlich gesparte Geld für den Kauf einer Zweizimmerwohnung nutzen zu können. Der Plan hätte auch bedeute, dass sie ihre kleine Tochter Sandra, die sie wie alle Eltern über alles lieben, in Georgien bei der Großmutter hätten zurücklassen müssen, um in Deutschland möglichst viel Zeit für die Arbeit aufwenden zu können...
Es stimmt einen sehr traurig, welche Opfer diese Menschen bringen müssen, um ihre "Grundbedürfnisse" irgendwie befriedigen zu können, hier der Wunsch nach einem eigenen Lebensraum bestehende aus zwei Zimmern für ihre kleine Familie. "Leider" ist der Plan nicht aufgegangen, da die deutschen Behörden sie nicht ins Land lassen. Darf man unter solchen Umständen sagen "zum Glück"? Die kleine Sandra hat also auch die nächsten Jahre über Mama und Papa.
Gottseidank ist sie noch zu klein, um all die Probleme und Sorgen der Eltern bewusst warzunehmen. Ja, und so kann sie weiterhin das machen, was alle Kinder gerne machen: spielen.

#168
Zuletzt geändert von zeitlos am Sa 2. Apr 2022, 23:26, insgesamt 5-mal geändert.