Mi 11. Mai 2022, 21:17
Es gibt lustige Diskussionen. Manch einer mag das für eine verkopfte Diskussion halten.
Insbesondere Hobbyfotografen schreiben oft, ein Bild "so wie ich es gesehen hatte". Dieser Satz an sich ist eine Emotion. Denn der Mensch sieht keineswegs so, wie es auf den Chip gebannt wird, und dann, wenn der Mensch das auf dem Chip gebannte Medium anschaut auf welchem Medium auch immer (Digital, Bild an der Wand, ausdruck, ...) findet ja eine nochmalige Interpretation statt. Lustigerweise wird in den Sprachen, die ich kenne von Sehen gesprochen. Ich fände den Begriff Wahrnehmung deutlich passender. "Eine Situtation so wie ich sie wahrgenommen habe" fände ich deutlich passender als "ein Bild, so wie ich es gesehen habe".
Das Auge. Es ist eigentlich ein hochkomplexes Organ. Einfach beschrieben findet man es
. Je länger der Mensch das Auge wissenschaftlich untersucht, destomehr der komplexen Details erkennen wir. Hochkomplexe Filter, die ein Überleben in der Natur ermöglich haben. Hell, dunkel, nah, fern, dynamisch, statisch. Nachts, Tags, Kontrastanpassung. Zusammenrechen im Auge/Gehirn der verschiedenen Information (zB Überlagerung Information beider Augen, dynamisch, statisch). Fehlwahrnehmungen mit dem Alter korrigieren ... All das kann unser Auge.
Den folgenden Beitrag von einem
, dessen kontroverse Meinung ich an sich schätze, verbuche ich unter amüsante Meinung. Er pupliziert seine Bilder ohne Exifs, was er selbst entscheiden kann. Seine Erklärung dazu "Settings Versus Seeing" ist ein Dualismus, den es für mich so nicht gibt.
Sinngemäss: Dass Kameraeinstellungen einen Sinn ergeben, dazu müsste man verstehen, was der Fotograf gesehen hat und welche Entscheidungen er getroffen hat, für das Bild. So weit so gut.
Wie wir dann aber zu einem Bild kommen und was wir sehen, dann wird es doch eher lustig. Landschaft heute würde primär mit durchgängiger Schärfe (Stacking oder kleiner Blende) aufgenommen, dass sei aber weder die Funktionsweise unseres Auges/Gehirns noch das, was wir beim Einrichten des Fotos gesehen hätten. Nah, mittel, fern, ein Ansatz für Landschaftfotografen. Unser Gehirn interpretiere niedrige Detailstufen als weit entfernt und hohe Detailstufen als nah. Weiter dann, wer Einstellungen verlänge, versuche zu verstehen und zu kopieren, was jemand anderes gesehen und festgehalten hat. Aus Susan Sontags Buch "Über Fotografie": "Der Maler konstruiert, der Fotograf enthüllt". Um zu enthüllen, müsse man zuerst sehen. Was sei es also, was man sähe und was man enthüllen wolle? Wer diese Fragen nicht beantworten könne, hätte auch keine Ahnung, wie er seine Kamera einstellen solle.
Dann wird eine Löwin gezeigt, mit zwei weiteren Löwinen weiter im Hintergrund. Die Erläuterung dazu: Diese Löwinnen versuchen herauszufinden, welche Beute sie angreifen sollen. Der Fokus ist so, wie er ist, weil die Matriarchin an der Spitze steht und wahrscheinlich bestimmt, wohin sie als nächstes gehen. Der Versuch, alle drei in den "perfekten" Fokus zu bekommen, wäre nahezu aussichtslos, zum einen, weil es die Hierarchie nicht offenlegt, zum anderen aber auch, weil viel Gras im Umfeld sichtbar würde, was er nicht enthüllen wolle. Spiele es eine Rolle, welches Objektiv er verwendet habe? Nein. Spiele die Belichtungszeit eine Rolle? Bei diesem Bild nicht wirklich, da alles unbeweglich war. Spiele der ISO-Wert eine Rolle? Auch hier ein Nein. Was er an diesem Bild besonders hervorheben wolle, habe nichts mit den Kameraeinstellungen zu tun. Es habe mit seiner Position gegenüber den Löwen zu tun, mit der Perspektive und damit, dass er darauf gewartet habe, dass ein Muster auftauche. Der Zeitpunkt, zu dem er den Auslöser drückte, und meine Position waren die beiden Schlüsselelemente, die dieses Bild zu dem machen, was es ist. Beide sind in den EXIF-Daten nicht wirklich in einer Weise festgehalten, aus der man etwas lernen könne.
Wenn er von Emotionen spricht, nicht vom fotografieren/sehen, kann ich ihm viel einfacher folgen. Er würde seine Studenten folgendes Fragen: Können Sie das Gefühl von Afrika in Ihren Fotos einfangen und vermitteln? Es ist eine Sache, den Kopf eines Löwen zu fotografieren. Aber das kann man in einem Zoo wahrscheinlich leichter als von einem Land Cruiser aus mitten im Nirgendwo. Wenn man über zehntausend Dollar ausgibt, um an diesen Ort zu gelangen, sollten die Fotos dann nicht irgendwie vermitteln, wie sich dieser Ort anfühlt? Er spreche oft davon, keine Substantive zu fotografieren. Wenn das Thema Ihres Bildes "Löwe" lautet, ist das ein Substantiv. Das können Sie in Ihrem örtlichen Zoo ausmerzen. Was Sie wirklich einfangen wollen, sind Adjektive, Adverbien und Verben. "Auf der Suche nach Abendessen" ist etwas ganz anderes als "Löwe sitzt".
Persönlich lese ich solche Meinungen oft. Ich finde sie oft konstruiert. Kann auch keinen wirklichen Unterschied zwischen Landschaft und Tierfotografie erkennen. Kommplett unscharfe Bilder können sowohl für Landschaft als auch für Tierfotografie funktionieren. Das Sehen durch den Sucher mit dem Ergebnis, dem Bild also, zu "verdrahten" ist aus meiner Sicht ein hoffnungsloses unterfangen. Menschen sind zu unterschiedlich. Der eine sieht etwas, der andere sieht es nicht.
Deutlich sinniger scheint es mir zu überlegen, wie wir Bilder wahrnehmen. Das ist dann zunächst eine duale Sache, zwischen mir, dem Beobachter, und dem Bild (Bilder sind wie Kinder, man entlässt sie in die Welt und hat kaum mehr einfluss darauf). Auch ein durchgängig scharfes Landschaftbild kann für mich 3D wirken, wenn zB Licht, Linienführung, Farben entsprechend wirken. Nehmen wir einmal Waldbilder als Beispiel. Ein Waldbild mit Nebel im Hintergrund, früh Morgens, Blende 8-12, dann der Nebel, Belichtungszeit ein paar Sekunden. Oft mit Polfilter. Das kann ein wunderbar mystisches Bild sein, wie es dann beispielsweise an der Wand landet, aber in Realität war es stock-duster. Einfach so dunkel, dass man vermutlich kaum die Hand vor den Augen sah.
Ich ertappe mich oft dabei, das ich Bilder zunächst technisch anschaue. Das ist schade. Ich versuche mich anzustrengen, Bilder zunächst so wahrzunehmen, wie ich sie emotional empfinde / wahrnehme. Den technischen Teil zunächst auszublenden.
Bilder sollten emotional sein.
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