Mi 10. Sep 2014, 10:06
Dirk hat geschrieben:Stefan, ich habe eben mal wieder mehrere Seiten hier "aufgeholt".
Großen Respekt vor deinen Fotos, die ich ebenfalls würdig für eine Ausstellung finde.
Was mich noch interessiert: Du vermittelst ja in diesen Fotos viel Tristesse. Und Du fotografierst sie (sehr gekonnt). Wie haben denn die Menschen reagiert, als Du vor Ort fotografiert hast? War das für Sie oder Dich ein Thema? Ich frage wirklich aus Interesse, nicht weil ich einen moralischen Zeigefinger erheben möchte (das steht mir gar nicht zu).
Hallo Dirk,
ich habe mich sehr über Deinen Kommentar gefreut.

Vielen Dank! Na ja, ich freue mich einfach, wenn ich etwas vermitteln kann. Solange ihr hier mitlest, werde ich mich bemühen

.
Du sprichst einen interessanten, aber zugleich auch "wunden" Punkt an. Eigentlich den zentralen. Man sieht in Georgien neben vielem schönen auch sehr viel Tristesse und Niedergang. Und ja, ich bin zweifach sensible dafür. Zum einen als Mensch: Es ist schwer anzusehen, vor allem als jemand, der aus dem reichen (bayerischen) Westen Europas kommt. Zum anderen eben als Fotograf: Es drängt mich regelrecht dazu, die Umstände, Begebenheiten festzuhalten. Aber gleichzeitig weiß ich immer, dass ich Menschen in Situationen zeige, die sie vielleicht selbst als armselig und entwürdigend empfinden (hier muss man aber vorsichtig sein! Manche empfinden die Umstände entweder als normal, weil sie es gar nicht anders kennen, würden sich also verletzt fühlen, wenn man sie durch besondere Vorsicht erst "darauf hinweist", andere hingegen sehe ihre Würde als Mensch (zurecht) in keiner Verbindung zu den Lebensumständen (für die sie oftmals nichts können) und wären ebenso verletzt, wenn man sich ihnen gegenüber aufgrund der Umstände um sie herum "distanziert" benehmen würde) . Ich habe vor kurzem eine einfache Prämisse gelesen, die mich seither beschäftigt. Ich weiß nicht mehr, wo ich drüber gestolpert bin. Aber ein Fotograf wurde gefragt, wo bei ihm die Grenze sei, also wo und was er nicht mehr fotografieren/zeigen würde. Er meinte, er frage sich bei jedem Foto, das er macht oder beabsichtigt zu machen, ob der Mensch, der darauf dargestellt wird, stolz darauf sein könnte. Wir hatten ja eine ähnliche Diskussion schon einmal vor 1-2 Jahren, als ich in diesem Thread das obdachlose Kind gezeigt habe. Es bricht mir heute noch das Herz. Ich habe damals schon meinen Standpunkt vertreten, dass ich es unbedingt für notwendig erachte, dass man das Elend zeigt. Es sind im Nachgang ja auch ein paar schöne Dinge entstanden (Spendenaufruf usw.). Aber die hier angeführte Prämisse könnte ich damit wohl nicht einhalten.
Ich habe immer noch keine Antwort darauf gefunden. Wenn man so will, betreibe ich manchmal "Streetfotografie" mit allen Nebenwirkungen (schwieriges Thema). Ich will, dass meine Fotos leben, etwas vermitteln. Dazu brauche ich eine Interaktion. In irgendeiner Weise. Oft sind Fotos tot, wenn keine Menschen mit drauf sind (früher habe ich versucht immer so lange zu warten, bis niemand mehr durch's Bild läuft. Heute mache ich es oft genau anders herum). Manchmal sind sie tot, wenn Menschen nicht direkt in die Kamera kucken und somit den Betrachter direkt ansehen (man kann in ihre Seele kucken, wenn man's pathetisch ausdrücken will). Nur, das alte Dilemma, spricht man sie zuvor an und bittet um Erlaubnis, ist der Moment oft weg. Bei manchen Bildern (alte Dame, die Obst verkauft) habe ich vorher um Erlaubnis gefragt. Bei anderen Bildern ist es eben ein "getarntes" Touribild. Ich knipse demonstrativ noch weiter durch die Gegend, fernab vom eigentlichen Motiv. Gut fühle ich mich dabei nie.
Manchmal aber entsteht auch eine herzliche, wenn auch kurze Interaktion. So z.B. bei den beiden Mädchen auf den letzten Bildern. Ich habe sie gesehen, und einfach fotografiert. Kurz abgesetzt und freundlich gelächelt und gewunken. Ein Mädchen hat die Freundlichkeit aufgenommen und zurückgewunken, das andere war wohl etwas irritiert oder schüchtern und hat weggekuckt.
Lange Rede, kurzer Sinn. Bisher habe ich noch keine wirklich negativen Erfahrungen gemacht, wenn ich Menschen ungefragt fotografiere. Das liegt wohl daran, dass ich's versuche zu kaschieren oder eben vorher Frage, wenn's zu direkt ist. Es sind mir aber auch schon viele gute Motive durch die Lappen gegangen, weil ich es nicht gewagt habe, zu fotografieren.
Du siehst, meine Antwort fällt zwangsläufig vielschichtig aus, weil es keine eindeutige darauf gibt. Richtige Probleme hatte ich eigentlich noch nie. Es kam allenfalls mal vor, dass einer Fotobitte nicht entsprochen wurde. Ich habe z.B. auf dem Freiheitsplatz in Tiflis eine gewürzverkäuferin gefragt, ob ich sie fotografieren dürfte. Sie wollte das nicht (sie meinte, sie habe schlechte Erfahrungen gemacht, als sie mal auf einem Foto im Internet zu finden war), also habe ich nur ihre Waren fotografiert, was auch okay war.
Das Ende vom Lied ist, ich will noch mutiger werden, ohne aber dabei Menschen in ihrer Privatsphäre zu verletzen. Meist habe ich den Eindruck, dass ich mir mehr Gedanken über das Thema mache, als meine potentiellen Motive. Viele freuen sich einfach auch nur darüber.
Hm, ich sehe es schon, das Thema wird mich persönlich noch länger beschäftigen. Danke auf jeden Fall für Dein Interesse!
Zuletzt geändert von zeitlos am Mi 10. Sep 2014, 10:11, insgesamt 2-mal geändert.