Wie Martin schon schrieb, ist Plastizität eine Wahrnehmungsfrage. Meiner Beobachtung nach kann die Plastizität aus einer ganzen Reihe von Hinweisen an unsere Verarbeitung von optischen Reizen hervorgebracht werden, die uns Hinweise über die dreidimensionale Struktur des Abgebildeten geben. Neben dem zweiäugigen Sehen, welches im Foto wegfällt, können das z.B. allerhand Kontraste sein. Je mehr davon, ggf. zusammen mit anderen Hinweisen, stimmig zusammenarbeiten, desto eher wird ein Bild als "plastisch" empfunden werden.
- Helligkeitskontrast: Objekte, die sich in der Helligkeit von der Umgebung unterscheiden, werden leicht getrennt erfasst, so wie im . Zusätzlich muss auch die Form erfasst werden können, dazu kann der Helligkeitskontrast der beleuchteten zur im Schatten liegenden Seite beitragen. Ich denke, das macht einen subtilen Teil des plastischen aus. Die wirken übrigens auf mich mindestens genau so plastisch, wenn man die obere Hälfte des Bildes weglässt. Der Helligkeitskontrast wirkt auch in der Landschaft bei der Modelierung durch Streiflicht, wie Andy bemerkte. Generell hilft ein gerichteter Anteil im Licht dabei, plastisch zu modellieren. Bilder, die bei bedecktem Himmel und dadurch sehr diffusem Licht aufgenommen werden, wirken oft besonders flach.
- Struktur- oder Detailgradkontrast: Glatte, ggf. reflektierende Flächen setzen sich von rauhen oder strukturierten Flächen sehr gut ab. Das lässt Ronnys Traktor deutlicher vor dem Hintergrund hervortreten als den Anhänger. Bei Martins Steinen ist bei den vorderen die Maserung viel größer abgebildet als bei den hinteren. Das macht die Tiefenstaffelung sofort erfassbar, obwohl Helligkeits- und Farbkontrast der Maserung gleich bleiben. Bei Beispielen wie dagegen spielt die Größe der Details eine weniger wichtige Rolle, aber der Kontrast der Details nimmt mit zunehmender Entfernung ab, was wiederum eine starke Information über die Tiefenstaffelung ist. Der Freistellungseffekt durch selektive Schärfe ist auch u.a. ein Detailgradkontrast: In der Schärfeebene sind Kanten und Strukturen mit hohem Kontrast voneinander abgegrenzt, außerhalb sind die Helligkeitssprünge flacher. Die bieten einfach viel mehr Kontrast auf der feinen räumlichen Skala. Auch lebt vom Detailgradkontrast - der ziemlich homogene Bootsrumpf hebt sich klar von der einheitlich horizontal gestreiften Umgebung ab. Zu starke Helligkeitskontraste lassen die Schatten zulaufen und erschweren dagegen die Wahrnehmbarkeit von Struktur- und Helligkeitskontrasten auf der Oberfläche und damit die räumliche Wirkung.
- Farbtonkontrast: Neben dem klaren Detailgradkontrast , lässt auch der komplementäre Blau-Braun-Kontrast die Steganlage besonders gut als eigenständiges Objekt hervortreten. In meinen Experimenten zur Nachahmung natürlicher Beleuchtung im Makrobereich habe ich festgestellt, dass auch die Verschiebung Farbtemperatur von Sonnenlicht (~5600K) auf der direkt beleuchteten Seite zu diffus-blauem Licht (~10000k) auf der Schattenseite einen erheblichen Beitrag zum räumlichen Eindruck liefert. Bei Martins grauen Steinen lässt sich das gut beobachten, neben dem Helligkeitsunterschied sehen die linken Seiten der grauen Steine deutlich bläulicher aus als die rechten, was wiederum hilft, die Form und damit dritte Dimension zu erfassen. Ein zweiter Aspekt in Sachen Licht, die erklärt, warum es meist gerichtetes Licht ist, das plastische Abbildungen erlaubt.
- Buntheitskontrast: Nimmt die Buntheit/Sättigung in der Tiefe ab, kann auch das eine gute Wahrnehmbarkeit der Staffelung bei Landschaften bewirken, selbst wenn kaum Struktur erkennbar ist, so wie in weit entfernten Wäldern oder auf glattem Wasser mit Dunst darauf. Auch beim Traktor sticht nicht nur der rote Farbton heraus, sondern auch die intensive Sättigung, die im Hintergund nicht vorkommt. Die Wirkung von Wolken scheint mir eng damit zusammen zu hängen - natürlich im Zusammenspiel mit anderen Kontrasten.
Besonders interessant fand ich
, weil es die Farbkontraste eliminiert und nur den Detailkontrast variiert, was ausreicht, um die Plastizität wahrnehmbar zu beeinflussen. Auch bei
variiert im Wesentlichen nur der Detailgradkontrast zwischen den Blüten. Ich werde 'mal experimentieren, ob ich das für die anderen ähnlich isoliert visualisieren kann.
Zu den Kontrasten kommen noch geometrische bzw. perspektivische Seherfahrungen hinzu. Linien wurden deshalb schon mehrfach erwähnt, z.B. bei den Hebeln und besonders beim Steg leisten sie einen deutlichen Beitrag zur räumlichen Wahrnehmung.
Zu Objektiven kurz eine Geschichte: Ich war vor langer Zeit der Meinung, dass geringe Tiefenschärfe mit guter Vordergrund- zu Hintergrund-Separation hinreichend für die plastische Wirkung ist. Also schaute ich meinen damaligen Katalog durch (einige tausend Aufnahmen), um zu bestätigen, dass mein 50mm-f/1.8-Objektiv zuverlässig plastische Aufnahmen liefert und suchte meine besonders plastisch wirkenden Beispiele heraus. Als ich wegen der Blendenwerte in die Exif-Daten schaute, war da keine Blende drin! Daraufhin erinnerte ich mich, dass ich alle diese Aufnahmen mit meinem adaptierten Mittelformat-Biometar 2.8/80 gemacht hatte.
Warum scheinen also bestimmte Objektive und Formate häufiger eine besonders räumlich wirkende Abbildung zu erzielen? Sicher spielt der Mikrokonstrast eine Rolle, weil er wichtig zur Erfassbarkeit des Strukturkontrastes ist. Beim Biometar, dessen Mikrokontrast nicht umwerfend ist, ist meine Vermutung, dass es die Neigung zu chromatischen Aberrationen ist, die eine leichte Konturbildung bei in die Tiefe reichenden räumlichen Formen bewirkt und dadurch die Konturen besonders hervorhebt, möglicherweise in einer Art, wie Sie unserer visuellen Verarbeitung natürlich erscheint. Hier ein Beispiel, bei f/4 aus dem Lens Club:

Ich nehme ich an, dass auch andere Objektive in der Art des Schärfe-Unschärfe-Überganges Hilfen zur räumlichen Wahrnehmung geben. Dem D-FA 21mm Ltd wurden nicht umsonst im Nahbereich zusätzlich
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Gruß, Jens
(Wild-)Bienen und Beifang über's Jahr:
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