LeoLeo hat geschrieben:
herzlichen Glückwunsch! Das ist ja nicht "irgendeine Museumsthematik", sondern eine historisch zutiefst belastete, die nicht oberflächlich behandelt und dargestellt werden kann und darf. Schön, dass du dich dieser Aufgabe stellst und damit ja auch zweifellos wichtige Arbeit leistest.
Danke, Jürgen.
Um da Missverständnisse auszuräumen: Ich bin niemand, der dieses Thema auf die leichte Schulter nimmt und denkt, dass da ein Grundwissen auslangen sollte. Nein. Allerdings ist es so, dass ich detailliert und sinnvoll 3 Stunden im Ehemaligen Ghetto führe, und das schon seit vielen Jahren. Andere im Kurs auch. In der Ausstellung in der Schindlerfabrik sind die beiden Ausstellungsteile zum Ghetto natürlich mit die wichtigsten. Nur ist es zeitlich so, dass man sich dort bei einer Führung maximal 15 Minuten aufhält. Die Schwierigkeit ist viel eher, das Wissen für die 3-Stunden-Führungen sinnvoll runzerzubrechen auf diese 15 Minuten, also: Was lässt man weg, was verkürzt man? Die Schulung sah so aus, dass mein Wissen für die 3 Stunden nicht ausgelangt hat und wir noch sehr viel mehr an Wissen anhäufen mussten, das man niemals brauchen wird und niemals sinnvoll wird einbringen können. Alle Krakauer Stadtführer, die ich kenne, bilden sich eh in der Freizeit fort. Aber da sieht es dann so aus, dass man aus einem dicken Buch dann ein einziges Zitat oder so rauszieht, um es in Zukunft einzubauen bei Führungen. Anfang April, und damit kurz vor der Prüfung in der Schindlerfabrik, habe ich zum Beispiel eine Uni, die alle 2 Jahre kommt, mit 3 Stunden im Ehemaligen Ghetto. Meine Führung wird in diesem Jahr mit Sicherheit sehr viel schlechter als in der Vergangenheit. Den Prof habe ich schon vorgewarnt. Viel zu viel viel zu schnell reingestopftes Wissen, ohne Ordnung, ohne Verortung, ohne Sinn, mein System ist chaotisiert.
Es sind übrigens ganz praktische Gründe, warum ich die Prüfung überhaupt mache: Es ist nicht leicht, Jadwiga (die Euch in der Gedenkstätte Auschwitz geführt hat) oder andere entsprechend gute Guides für die Fabrik zu bekommen (ich lege auf viele andere Sachen wert, die bei der Prüfung überhaupt keine Rolle spielen, zum Beispiel die Fähigkeit, das Wissen dann auch auf Deutsch oder einer anderen Fremdsprache zu vermitteln, also rein sprachliche Dinge). Außerdem sind die Kosten für Schulen oder Unis höher, wenn ich vor einer oder im Anschluss an eine Führung durch das Jüdische Viertel und/oder das Ehemalige Ghetto nicht noch die Schindlerfabrik anbieten kann, sondern dafür einen separaten Guide engagieren muss. Polen ist leider inzwischen so teuer geworden, dass für Schulen, Unis, Stiftungen und Gedenkstättenfahrten anderer Institutionen der finanzielle Rahmen immer schmäler wird. Hinzu kommt, dass Zuschüsse und solche Dinge fast ausschließlich Ländersache sind und die letzten Wahlergebnisse in einigen Ländern dazu führen wird, dass es keine Zuschüsse mehr geben wird, insbesondere durch die Regierungsbeteiligung einer bestimmten Partei in 2 Bundesländern. Aus einem auch eher ärmeren Bundesland gibt es schon seit Jahren keine Fahrten, da liegt es aber an zwei älteren Parteien. Am leichtesten läuft es noch mit den Zuschüssen in den Bundesländern, die eh zu den reichsten gehören, wo also Zuschüsse gar nicht so dringend nötig wären, wenn man von Unterstützungen für ärmere Familien (was es dann dort auch in größerem Rahmen gibt) absieht.
Bei der Gedenkstätte Auschwitz verhält sich die Sache auch sehr kompliziert. Vereinfacht gesagt, besteht die Politik der Gedenkstätte darin, die Preise so niedrig wie möglich zu halten, um möglichst vielen Menschen einen Besuch zu ermöglichen. Klingt erst einmal gut. Das geht aber auch zu sehr großen Teilen zu Lasten der Edukatoren (wie die Guides dort heißen), die entsprechend wenig verdienen. In der Gedenkstätte, aber auch bei Führungen durchs Ehemalige Ghetto, gibt es nur in den seltensten Fällen Trinkgeld, wofür wir hier alle vollstes Verständnis haben. Ich gleiche das dann aus mit den emotional leichten Altstadtführungen, Edukatoren der Gedenkstätte, die kaum woanders führen, haben aber fast keine Trinkgelder. Das Thema ist sehr vielfältig und groß. Mein Lösungsvorschlag wäre, einen separaten Fonds in der Gedenkstätte zu bilden, der nicht für den Erhalt der Gebäude, nicht für wissenschaftliche Arbeit, nicht für Arbeit in den sozialen Medien und so weiter genutzt wird, sondern ausschließlich zur finanziellen Förderung der Edukatoren, so dass die auf einen Schlag doppelt so viel verdienen würden. Ich bin allerdings nur ein kleiner dummer Stadtführer, aber weder Politiker noch Funktionär, so dass ich keinen Einfluss darauf habe, ob das jemals umgesetzt wird.
vordprefect hat geschrieben:
Das überrascht mich, daß da solche Anforderungen gestellt werden, das ist ja fast schlimmer wie bei jeder Uni-Prüfung - aber ich drücke Dir für alle Fälle die Daumen!
Ja, wobei ich das
fast streichen würde. Es ist um Welten schwieriger als alle meine Uniprüfungen und auch noch schwieriger als die Stadtführerprüfung, die auch schon schwieriger als die Uniprüfungen war. Hinzu kommt, dass unter dem Schulungs- und Führungspersonal leider auch sehr unangenehme Zeitgenossen sind. Ich hatte die Hoffung, dass es nach der schriftlichen Prüfung besser wird, aber der erste methodische Workshop am Donnerstag war schon wieder traumatisierend. Nur 1 von 13 hätten bestanden, der Rest, dazu habe auch ich gezählt, durfte sich Sprüche anhören wie den, dass wir besser auf den Elektrowägelchen Touristen rumfahren sollten, aber keine guten Stadtführer wären. Eine Stadtführerin, älter als ich, sie dürfte auf die 60 zugehen, mit 35 Jahren Erfahrung im Job, hat gezittert, hätte fast geweint und wäre auch fast zusammengebrochen. Bei jedem Verständnis für Anspruch und hohe Erwartungen sollte man meiner Meinung nie, nie, nie, nie, nie und niemals die Ebene einer humanen Zusammenarbeit verlassen. So halte ich es zumindest bei allen meine Jobs und auch unbedingt gegenüber Leuten, die mir auftragsbedingt hierarchisch untergeordnet sind, wo ich Noten gebe, bezahle oder was auch immer. Ich hätte verstanden, wenn das Schulungspersonal ein Kollegenschwein angepfiffen hätte, der sich auf Kosten der anderen profilieren will. Aber so jemanden haben wir nicht. Ganz normale Stadtführer, alle gut vorbereitet, die alle ihr Bestes geben und sich kollegial verhalten, untereinander helfen und sich gegenseitig trösten.