Nuftur hat geschrieben:
Ich finde das etwas zu platt dargestellt. Es geht ja nicht um die generelle Wiedereinführung des Mittels, sondern nur bei Zuckerrüben, die von einem Virus bedroht werden.
Ich bin ja auch für Naturschutz und finde den allgemeinen Rückgang sehr Besorgnis erregend. Man darf es sich aber nicht zu einfach machen. Wer alt genug ist, wird sich erinnern, dass in den 1970ern, als man Umweltschutz noch gar nicht kannte, die Windschutzscheibe vollgeprasselt mit Insekten war. Auf dem Weg zum Schrebergarten flogen Rebhuhn-Trupps auf, ganz normal. Straßen wurden wegen Fröschen gesperrt, nicht weil es so wenige gab, sondern weil die Autos wegen der schieren Menge rutschten. Dann wurde das DDT verboten, die Autos fuhren bleifrei, immer weitere Umweltschutzmaßnahmen folgten. Eine Studie, die einen Rückgang der Insekten um 76-82% misst, bezieht sich auf 1990 bis 2017, also lange nachdem man mit Umweltschutz begonnen hatte, die Messung wurde zudem in Naturschutzgebieten durchgeführt - an was lag dann der Rückgang? Warum muss ich lange herumfahren, von Tümpel zu Tümpel, jeder in einem Naturschutzgebiet, bis ich meinem Kind endlich einen Frosch zeigen kann, wo früher in jeden Loch welche waren? Wie lange habe ich schon keinen Feldhasen mehr gesehen? Es muss eine große Ursache geben, auf die ich noch nicht gekommen bin. Wenn die ganzen Umweltschutzmaßnahmen den allgemeinen Niedergang nicht aufhalten konnten, wird ein lokal begrenztes Sprühen nichts am großen Bild ändern. Was ist es? Klar, man könnte sagen, das DDT wurde halt durch andere Mittel ersetzt, die (noch) nicht verboten wurden. Aber der Rückgang wurde ja (auch) in Schutzgebieten gemessen, wo nicht gesprüht wird. Das ist, was ich nicht verstehe. Auch mitten in der Stadt, wo nichts gesprüht wird. Früher flogen um die Laternen des Nachts viele Insekten. Jetzt will ich meinem Kind Fledermäuse zeigen, um die Laterne fliegt nichts mehr. Es gab zwar noch Fledermäuse, aber ich fragte mich, von was leben die eigentlich noch? Ich mache mir viele Gedanken. "Nicht sprühen", auch nicht begrenzt, ist ein verständlicher Reflex, aber ich habe das Gefühl, dass es nicht wirklich die Ursache bzw. Abhilfe ist.
MfG Nuftur
Ohne jetzt eine großartige Diskussion vom Zaun brechen zu wollen, möchte ich kurz auf Nufturs Beitrag eingehen. Als Landschaftsplaner komm ich das eine oder andere mal mit dem Thema in Berührung.
Die Ökologie ist wie alles auf der Welt bildlich gesehen als "Organismus" zu verstehen. Wie beim menschlichen Körper viele Faktoren, Komponenten, Funktionen ineinandergreifen, um ihn gesund und lebendig zu halten, ist es auch bei der Ökologie. Wird in eine Verbindung oder Komponente eingegriffen, wirkt sich das auf die Gesundheit aus - bis hin zum Kollaps.
Grundvoraussetzung für das Vorhandensein von Arten, die man von früher kennt (Frösche, Rebhühner, Feldhasen und viele mehr) ist das Vorhandensein
funktionierender Lebensräume. Funktionierend heißt, es reicht nicht, dass sich irgendwo auf dem Acker ein Tümpel befindet, der als NSG ausgewiesen wird. Entsprechende Tierarten müssen diesen Tümpel erreichen können, damit eine Besiedlung bzw. auch ein genetischer Austausch stattfinden kann. D.h. es muss für die jeweilige Tierart in erreichbarer Nähe ähnliche Lebensräume geben und diese müssen miteinander verbunden sein (--> linienfärmige Biotope wie Feldhecken, Baumreihen, Staudensäume ("Unkraut")) - Stichwort Biotopverbund. Das jetzt nur mal oberflächlig angerissen.
Durch den wirtschaftlichen Druck industrialisiert sich die Landwirtschaft zunehmend. Maschinen werden automatisiert, werden größer, Felder werden an diese Maschinen angepasst, werden größer, brauchen möglicht gerade Begrenzungen, Biotopobjekte mittendrin stören (müssen ständig umfahren werden, unterbrechen den Arbeitsfluss), Feldwege werden begradigt, breiter und befestigt, Ertrag wird durch Düngung (Nährstoffeintrag) und Pflanzenschutzmittel gesteigert. Die Verbindungen und Funktionen im Organismus Ökologie laufen nicht mehr rund und funktionieren nicht mehr. Bsp. Feldweg. Jeder kennt noch die Hubbelwege, grasbewachsen, links und rechts Apfelbäume, oder eine Feldhecke mit Bäumen und Sträuchern einseitig angrenzend, dazwischen Gestrüpp aus Rainfarn, Beifuß, Kamille usw. Hier leben die Rebhühner, hier finden die Insekten Nahrung, die lange bestehenden, teils schon mit Algen besetzten Pfützen in den tiefen Fahrspuhren haben für die Entwicklung von Unken ausgereicht (gibts heute so gut wie nicht mehr). Anhand solcher Strukturen fand der Austausch statt, Singvögel, Kleinsäuger, Insekten, Reptilien, Amphibien, Fledermäuse. Mit dem industriellen Ausbau wird der Feldweg zur Betonbahn, breit, Staudensäume sind weg, die alten Obstbäume sterben altersbedingt und werden nicht ersetzt (Lichtraum für die Maschjinen), keine Kleinstgewässer/Pfützen. Kein Lebensraum, Keine Verbindung von Lebensräumen, kein Austausch, genetische Verarmung innerhalb der isolierten Biotope, keine Neubesiedlung, keine Tiere. So kanns noch ewig weiterhehen - Düngung, Nährstoffeintrag in Kleingewässern, wachsen zu/verlanden, Lebensräume verschwinden usw.
Ich kenne auch noch große Feldhasengruppen und deren Liebesspiel im Frühjahr und große Mengen von Rotmilanen über den Feldern zu DDR-Zeiten. Und damals war man nicht gerade zimperlich mit der Flurbereinigung und dem, was man auf die Felder gekippt hat. Allerdings war, zumindest in bestimmten Regionen, die angebauten Produkte vielfältiger - bei uns im Harzvorland bspw. viel Blumen. Dann gabs noch nicht so viel Fertigkraftfutter aus Holland für die Tierhaltung, d.h. Futter musste noch selbst angebaut werden, bspw. Luzerne --> ideal für Feldhamsterbesiedlung --> Rotmilane. Große Kartoffel-, Erbsen-, Bohnen- und Ziebelfelder. Heute Winterweizen, Winterraps die zur Nist-/Nestlingszeit so dicht sind, dass Rotmilane (u.a.) in der Zeit, in der sie die meiste Nahrung brauchen, den Feldboden und damit ihre Beute nicht sehen können...
Unbeachtet Krankheiten, Parasiten, Konkurenzdruck, die der Klimawandel mitsichbringt.