Fr 8. Okt 2021, 21:53
Was es mit Freddy auf sich hatte:
Etwa fünf Wochen vor dem Shooting habe ich diesen junge Eichelhäher im zweiten Hinterhof unseres Hauses, in dem ich mich sonst praktisch nie aufhalte, rein zufällig zwischen den Fahrädern hockend entdeckt. Ich wollte den Hof eigentlich gerade wieder verlassen, als ich nur noch im Augenwinkel eine Bewegung am Boden wahrnahm, und zuerst spontan dachte, dass da wohl eine Ratte herumschleicht.
Der arme kleine Flattermann war wohl schon einige Tage zuvor - vermutlich bei einem seiner ersten Flugversuche - abgestürzt, und hatte es nicht mehr geschafft hinauf zu kommen. Nicht einmal auf die rund zwei Meter hohen Holzgestänge, die dort um einem Fahrradständer gebaut waren. Und so wurde er einerseits von den Eltern nur noch unzureichend versorgt, und war da unten auch dem ganze Dreck ausgeliefert. Er hatte schon total verkleisterte und verschorfte Augen. Er konnte kaum noch etwas sehen. Mir war klar, dass er dort unten keine Überlebenschance haben würde. Entweder er verhungert dort, oder eine Ratte oder ein Hund würde ihn sich früher oder später schnappen.
Also ging ich hin und schnappt ihn mir, was von den beiden Altvögeln mit ohrenbetäubendem Gekrächze und hefitgen Luftattacken zu verhindern versucht wurde. Aber ich griff beherzt und zugleich überlegt zu, um ihn nicht womöglich noch zu verletzen, und setzt ihn zunächst auf eine erhöhte Position, von der er, so hoffte ich, vielleicht doch noch den Baum erreichen würde. Aber sicher auch wegen des Zustandes seiner Augen stürzte er gleich wieder ab und landete dann sogar hinter dem Zaum im Hof des Nachbargebäudes.
Da war mir klar, dass er nur dann überleben würde, wenn ich ihn mitnehmen und zumindest erst einmal zu einem Tierarzt bringen würde. Gleichzeitig schwante mir aber auch schon, dass ich mir damit die Aufgabe der weiteren Aufzucht des Vogels an die Backe nageln würde. Denn die Altvögel würden ihn vermutlich nicht mehr annehmen und weiter versorgen, nachdem er möglicherweise etliche Tage zum zwecke der Behandlung seiner infizierten Augen aus dem Bereich der Eltern verschwinden würde und danach auch noch fürchterlich nach Mensch riechen würde.
Da ich nicht zum ersten Mal Jungtiere aufgezogen habe - da sollte man als eigentlich gelernter Tierpfleger auch nach mehr als 30 Jahren der beruflichen Neuorientierung schon noch etwas im Hinterkopf behalten haben - überlegte ich also nicht lange und verschaffte mir Zugang zum Nachbargrundstück mit dem Willen, ihn dann auch von dort mitzunehmen und die Aufzucht zu übernehmen, sofern sich nicht eine andere, damit eher erfahrene Person auftreiben ließe. Was die Besonderheiten der Aufzucht von Rabenvögel betrifft, so meinte ich, dass die Erlangung von dafür notwendigem Wissen im Internetzeitalter ja nun auch kein Hexenwerk mehr sein kann.
In der tierärztlichen Praxis hatten wir das Glück, auf einen Assistenzarzt zu treffen, der einige Jahre auf den Kanaren in einem dortigen Vogelschutzgebiet tätig wahr, und sich somit auch mit Wildvögeln sehr gut auskannte. Er entfernte die Verkrustungen um die Augen und stellte schnell fest, dass die Augen unversehrt geblieben sind...nur eben schon recht heftig entzündet waren. Eine mehrmals täglich zu erfolgende Behandlung mit einer entzündungshemmenden Salbe wäre zwingend geboten, um die Augen funktionsfähig zu erhalten. Und somit war klar, dass er ncht wieder zu seinen Eltern zurück kann.
Die in Berlin ansässige Vogelaufzuchtstation des NABU erklärte mir dann bei unseren ersten telefonischen Kontakt, dass sie zwar in der Lage seien, den Vogel final aufzuziehen und später wieder aus zu wildern. Aber ich könnte ihn erst zur Station bringen, wenn er selbstständig fressen würde. Personell sei es für die Station nicht leistbar, diverse Vögel täglich mit der Hand zu füttern.
"Wann würde denn der Vogel sachätzungsweise allein fressen?", fragte ich.
"So vermutlich in zwei bis drei Monaten." lautete die Antwort.
Und so wurden wir knapp zwei Wichen bevor wir erstmals zu Menscheneltern wurden, zunächst einmal zu Vogeleltern; was angesichts der Tatsache, dass wir zwei getigerte Mitbewohner haben, noch besondere Spannung erhielt.
Das Problem der Trennung von Katzen und Vogel haben wir dann recht schnell hinbekommen. Ich konnte wenige Tage später über die ebay-kleinanzeigen einen stabilen und recht großen Papageienkäfig für kleines Geld erstehen. Darin konnten wir dann einige Äste befestigen, damit der kleine Krächzer sich auch halbwegs bewegen konnte. Den Käfig parkten wir dann auf dem Balkon. Und die Katzen hatten innen an der Balkontür ihr ganz individuelles, und total spannendes Katzenfernsehen.
Eine besondere Attraktion des Programms war die mehrmals täglich stattfindende "Raubvogelfütterung" die soviel Lärm verursachte, dass die Leute in den umliegenden Häusern und auf der gegenüberliegenden Straßenseite regelmäßig aus den Fenstern schauten oder auf ihre Balkone kamen, um heraus zu finden, was da solch einen Heidenlärm verursachte.
Einen kleinen Eindruck von dem Spektakel könnt Ihr hier bekommen:
https://www.facebook.com/lutz.brellenth ... 2158872097Und so sah das aus, wenn er dann satt war:
https://www.facebook.com/lutz.brellenth ... 6721282974Die Videoqualität ist ziemlich mies. Ich bitte das zu entschuldigen.
Als es seinen Augen etwas besser ging, bin ich mit ihm mal in den zweiten Hof gegangen und habe mich dort an der Wiese mit ihm hingesetzt, in der Hoffnung, es ließe sich ein Kontakt zu den Altvögeln herstellen. Die waren zwar ab und an auch mal am Antworten. Aber runter kanen sie nicht. Und ich glaube, Freddy - so hatten wir ihn inzwischen getauft - war ganz zufrieden mit seinen Ersatzeltern und der äußerst schmackhaften und vielseitigen Ernährung, die wir ihm zukommen ließen. Und so machte er auch keinerlei Anstalten mehr, sich von mir absentieren zu wollen.
https://www.facebook.com/lutz.brellenth ... 7842524862