Zampel hat geschrieben:
Das mag alles reininterpretiert sein in diesen Bruchteil einer Sekunde, den du eingefangen hast; es kommt trotzdem so bei mir an.
Aber ist es nicht eben genau das, was ein bewegendes Foto ausmacht?
Dass es (ganz viel) an Gedanken und Gefühlen beim Betrachter auslöst?
Ich hatte zuvor die Dokumentation von 9/11 von den Brüdern Naudet erwähnt, die mich so bewegt hat.
Mir fällt noch eine andere ein. Eine Dokumentation, die wenige Tage nach dem verheerenden Tsunami von 2004 gedreht wurde.
Ein Dokumentarfilmer oder ein Fernsehteam war ganz spontan nach Indonesien geflogen und wollte Aufnahmen von der Katastrophe und ihren folgen machen.
Sie trafen auf dem Flughafen in Jakarta ein und bestiegen ein Taxi, dass sie in ihr Hotel bringen sollte. Und während der Fahr kamen sie mit dem Taxifahrer ins
Gespräch. Auch schon, um sich nach Informationen zu erkundigen, und wie sie evt. ins Katastrophengebiert in die Provinz Ace gelangen könnten.
Und der Taxifahrer sagte ihnen, dass er selbst aus der Gegend stammt und auch keinerlei Informationen hat, wie es seine Angehörigen geht, weil alle Kommunikations-
mittel zusammengebrochen waren. Und dass er überleg, in sein Dorf zu fahren, um zu schauen, wie es seinen Verwandten geht und ob er etwas tun kann:
Und das Team fragte ihn, ob sie ihn begleiten dürften und seinen Weg dorthin im Film festhalten dürfen. Und er stimmte zu. Und so wurde aus aus der Idee, eine
gewöhnliche Reportage zu drehen, eine ganz persönliche Geschichte eines Betroffenen. Auf der Fahrt dorthin erzählte er von sich, seinem Dorf, seinem früheren
Leben dort, bevor er in die Hauptstadt ging. Von seiner Familie und von Freunden, um die er sich nun Sorgen machte. Und bis die Gruppe dort ankam, meinte man
als Zuschauer, den Taxifahrer schon wirklich gut zu kennen.
Als sie dort ankamen, fingen sie Bilder ein, die so dermaßen brachial waren, dass einem die Flutkatastrophe im Ahrtal dagegen vorkommt, als wäre an der Ahr
lediglich eine Eimer Wasser umgekippt. Und in den Spuren dieses Infernos lief der Taxifahrer - mit dem Auto konnte er das letzte Stück gar nicht mehr zurücklegen -
dorthin, wo das Haus seiner Familie zu finden sein sollte... Sofern er das überhaupt noch korrekt verorten konnte. Viele Wegemarken waren ja einfach nicht
mehr da. Und immer war die laufende Kamera an seiner Seite. Er traf dann auch mal das eine oder andere bekannte Gesicht, und erkundigte sich, ob er noch
auf dem richtgien Weg sei und ob jemand etwas wisse von seine Angehörigen.
Sein Haus und alles waren nicht mehr da. Und auch seine Familie fand er auch erstmal nicht - niemanden von ihnen Am Ende der Dokumentation hatte er von
seinen über 100 Verwandten, di in den Dort lebten, nur ganz zwei lebend wiedergefunden. Wie auch im Abspann der Doku zu lesen war, wurde auch nach Wochen
keiner mehr lebend gefunden.... von rund 100 Personen lediglich diese zwei.
Der Mann hat - zumindest vor laufender Kamera - nicht ein einziges Mal geweint, geschrien, gestammelt oder irgend etwas in der Art. Aber die Kamera hat
sein Gesicht immer wieder eingefangen. Und diese Bilder haben mich damals auch total umgehauen. Man konnte als Zuschauer seine Sorge und seinen Schmerz
schon nahezu physisch nachvollziehen.
Zampel hat geschrieben:
Womit aus einem Schnappschuss (?) Kunst wird.
Kunst ist ja - zumindest nach meinem Verständnis - etwas, was man in irgend einer Weise inszeniert; was eher nicht zufällig entsteht.
Zampel hat geschrieben:
Danke fürs Zeigen - ich weiß nicht, ob ich das bei einem Foto meiner eigenen Tochter gekonnt hätte.
Die Frage, ob ich den Moment ein Foto machen sollte und könnte, ging mir natürlich auch in einem Bruchteil von Sekunden durch den Kopf.
Und bevor ich das Foto, oder eben mehrere machte, musste ich das noch ganz kurz mit meiner Frau abklären. Sie wollte auf keinen
Fall selbst mit abgebildet werden in diesem Moment und ihrem Zustand. .. Frauen eben. Denken immer zuerst an ihre Frisur...
Wir haben das ganz fix abgeklärt, dass ich den Bildausschnitt nur auf Anna konzentriere; dass auch ihre Brust nicht zu sehen sein wird.
Da hat sie dann zugestimmt. Und nachher fand sie das Bild auch sehr stark und war froh, dass ich es gemacht habe.
Man muss in solchen Momenten auch mal in der Lage sein, sich über Konventionen hinwegzusetzen; etwas sonst undenkbares eben doch weiter
zu denken und danach zu handeln. Man muss eben einfach auch mal einer eigentlich eher schrägen Inspiration nachgeben. Man kann Bilder
danach immer noch wegschmeißen, wenn man es doch nicht angemessen eingefangen hat. Aber wenn man sie erst gar nicht macht,
wird die Chance, ein außergewöhnliches Bild zu machen, von Vornherein vertan.
BG
Lutz