Do 7. Aug 2025, 00:37
Da das in zu speziell wird, mache ich hier dazu 'mal ein eignes Thema auf.
kassurell hat geschrieben:Wenn wir hier schon beim Thema darktable sind, möchte ich mal eine Frage in die Runde stellen:
(...)
Vor kurzer Zeit habe ich gemerkt, dass es in DT zwei grundlegend verschiedene Arten der RAW-Bearbeitung gibt. Die "alte" anzeigebezogene Bearbeitung und eine "neuere" szenenbezogene Bearbeitung. Mit einem kleinen unscheinbaren Haken in den Einstellungen schaltet man die Software wohl um und mit dem nächsten Import wendet DT plötzlich andere Module zur Standardbearbeitung an.
Die anzeigebezogene Bearbeitung arbeitet mit den bekannten Werkzeugen wie Basiskurve, Weißabgleich, Tonwertkurven und was es da so gibt. Die szenenbezogene Bearbeitung richtet sich mit andren Modulen ein, die nach einem andren Farbmodell arbeiten, als da wären z.B. Filmic-RGB, Belichtung, u.a.
Mir scheint es so, dass mit dem neueren Modus recht schnell alltagstaugliche jpgs machbar sind, weil die Voreinstellungen schon sehr brauchbare Ergebnisse liefern. Dazu will ich aber sagen, dass ich eher realitätsnahe Fotos mag und keine extremen Bearbeitungen.
Hat von euch jemand Erfahrungen oder sogar Wissen um diese beiden Modi?
Der Grundlegende Unterschied in den Workflows ist, wann vom eingefangenen Licht auf die Darstellung am Monitor umgerechnet wird. Beim szenenbezogegen Ansatz arbeiten die meisten Module in einer Darstellung der Farbkanäle, die (so gut es geht) proportionale Werte zum einfallenden Licht auf dem Sensor verwendet. Erst weit hinten, nahezu am Ende der Verarbeitung, wird eine Transformation auf den anzeigebezogenen Farbraum vorgenommen, durch Filmic RGB (inzwischen in 7 Versionen) oder Sigmoid, deren Kurvenparametriesierung sich unterscheidet - Geschmacksfrage. Im anzeigebezogenen Modus dagegen ist der Farbraum schon bei der Bearbeitung in den meisten Modulen nichtlinear, durch die Tonkurve für die Darstellung "zurechtgebogen".
Für die Bearbeitung heißt das, dass die Module im szenebezogenen Ansatz "physikalischer" arbeiten können, währen sie im anzeigebezogenen Ansatz eher effektorientierter, mehr erfahrungsbezogen "ad-hoc" entwickelt wurden. Letzteres war lange die einzige Bearbeitung, deshalb sind die Algorithmen entsprechend ausgefeilt. Da es aber stets verschiedene Tonkurven gibt, können Algorithmen, die eine physikalische Grundlage haben, nur näherungsweise für eine mittlere Tonkurve optimiert abgebildet werden. Insbesondere können Module, die linear arbeiten, wie z.B. Farbtransformationen/Weißabgleich (ohne Kurven), Belichtungskorrektur, Grau-Verlaufsfilter u.ä. bei lichtproportionaler Darstellung in beliebiger Reihenfolge angewendet werden und liefern stets das gleiche "robuste" Resultat.
Ich habe einige Zeit im anzeigebezogenen Workflow gearbeitet - sehr lange in Rawtherapee, das
(alles in Process RGB und Process LAB) anzeigebezogen arbeitet. Der Treiber für den Umstieg auf den szenenbezogenen Ansatz war für mich hauptsächlich, dass sich damit große Tonwertumfänge sehr viel besser einfangen lassen. Gerade bei kontrastreichen Motiven, die für den Druck aufbereitet werden sollen, müssen die Tonwerte stark komprimiert werden. Die klassischen nichtlinearen Schatten-Lichter-Algorithmen (auch in Rawtherapee) neigen dabei sehr schnell zu Halos an Kontrastkanten. Mit dem Tone Equalizer in Darktable's szenebezogen Workflow funktioniert das auch bei harten Kontrasten, bei passender Einstellung der Maskenparameter, mit wenig Aufwand sehr gut. Auch Module wie der Kontrast-Equalizer (ich nutze die Schärfen-Voreinstellungen gern) bzw. Diffusion / Schärfe erzeugen durch die "physikalische" Darstellung besonders wenig Artefakte.
Eine weitere Konsequenz der späten Transformation von Szene zu Anzeige ist, dass man sich weit weniger über das Ausreißen von Lichtern Gedanken machen muss. Die szenenbezogene Darstellung hat erst einmal eine nach oben hin offene Tonwertskala, die dann z.B. von FilmicRGB ähnlich weich in den Lichtern wie bei einem Negativfilm (daher der Name) mit seiner langen Tonkurve in die anzeigebezogene Darstellung überführt wird. Dabei kann man zum Schluss entscheiden, wie hart der Film entwickelt wird und muss das nicht ganz am Anfang der Pipeline mit Basiskurve und Kontrast festlegen - was Auswirkungen auf die nachfolgenden Module hat, wenn man später d'ran dreht. Insgesamt arbeiten die Module im szenenbezogenen Ansatz unabhängiger, man muss weniger "nachziehen" wenn man vorn weiter etwas ändert. Auch die Möglichkeit, Module mehrfach in die Pipeline und auch an verschiedenen Stellen einzubauen funktioniert in der szenenbezogenen Arbeitsweise besser, d.h. die Ergebnisse sind - zumindest für mich - vorhersehbarer.
Einfache, gut belichtete Aufnahmen haben bei mir neben den standardmäßig für den szenenbezogenen Workflow eingeschalteten Modulen, fast immer mit FilmicRGB, oft nur Entrauschen (die Profile sind meist passend), Drehung/Zuschneiden und Kontrast-Equalizer aktiviert, z.B.
. Manchmal noch ein wenig Lokalkontrast, der übrigens anzeigebezogen arbeitet. Der Januar dagegen hat zusätzlich Spitzlichtrekonstruktion, Retsuche, Tote Pixel, eine zweite Belichtungsmodulinstanz, einen Verlaufsfilter, Schärfen, Lokaler Kontrast, Farbbereiche, der Dezember vor allem maskiertes Astrofotografie-Entrauschen nur für den Himmel und ein später ein zweites Belichtungsmodul hinter den Tonwert-Equalizer geschoben, weil ich doch etwas abdunkeln wollte, aber den Equalizer nicht neu austarieren - problemlos möglich dank szenenbezogenem Workflow dazu
zwei entgegengesetzte Verlaufsfilter (oben/unten, jeweils auf den hellen Bereich zeigend) - so ähnlich wie ein
. Masken benutze ich nur selten, die sind nicht gerade einfach zu zeichnen/definieren, auch mit Tablet und Stift. Das können andere Programme besser.
Bei schwierigen Lichtverhältnissen, oder einfach für einen guten Weißabgleich mit Blitzen, ist übrigens die Farbkalibrierung mit Color Checker wunderbar einfach und funktioniert gut. Dabei habe ich dann auch die Inkonsistenz zwischen meinen Godox-Blitzen bemerkt (V1 gegenüber A200pro), die jetzt mit einem Filter vor dem Blitz ausgeglichen ist. Ansonsten kämpfe ich manchmal ganz schön mit dem Farbkalibrierungs-Modul und schalte ab und zu auf den einfachen Weißabgleich um (Farbkalibrierung aus, Weißabgleich direkt einstellen, nicht auf Kamera-Referenzpunkt/D65).