Ich mache ja normalerweise Fotos "aus der Hüfte", gucke, was mir vors Objektiv kommt. Ich bringe mal ein Stativ mit, oder gehe zu den "guten Zeiten" raus, aber wenn ich ehrlich bin, meist werden es Zufallstreffer. Auch schön, doch ich habe Ansprüche. Manchmal habe ich ein Motiv im Kopf, ich plane und bereite mich vor, aber dann haperts an der Umsetzung. Dies ist eine solche Geschichte. -------------------------------
Der Wetterbricht sagte kurze Wolkenpause am Morgen, ich habe einen Spot im Kopf, eine gute Stunde entfernt, der Weg bekannt, die Liebste würde ich nicht stören, weil sie selbst auf Dienstreise ist. Der Wecker klingelt in aller Früh, ich packe die Tasche mit Kamera, Stativ, warmen Klamotten und heißem Tee und gondel mit der S-Bahn los. Am Ziel angekommen geht es noch mit Stirnlampe bewaffnet durch den Wald und auf den Berg. Erschöpft und schwitzend erreiche ich den Gipfel der Himmel beginnt sich langsam blau zu färben. "Besser zu früh als zu spät", denk ich mir. Es ziehen Wolken auf. Die sollten eigentlich in die andere Richtung ziehen, in Blickrichtung sollte es wenn überhaupt nur Schleierwolken geben. Stattdessen, bis zum Horizont alles bedeckt. Nagut, vielleicht wird es noch bis Sonnenaufgang. Gibt mir Zeit für die Komposition.
Ich warte. Es wird kälter. Und windiger. Ich trinke Tee und Blicke ins Grau.
Sonnenaufgang laut App: Ich sehe keinen Unterschied. Irgendwann erkenne ich ein Fitzelchen Rosa am Horizont, dann ist es wieder weg. Ich warte noch ein bisschen. Die Sonne müsste jetzt schon oben sein, aber es nichts ist zu sehen. Doch kein gutes Licht heute. "Ich glaub das wird nix mehr", sage ich mir und schau ins Telefon, wann der nächste Zug zurück fährt. Ein Fehler, wie sich herausstellen wird. Ab jetzt habe ich den Zug im Kopf und nicht mehr, wofür ich eigentlich hergekommen bin. Ich gebe auf und packe zusammen, die nächste Bahn könnte ich noch erwischen. Hätte ich stattdessen auf die Uhr gesehen, mein fotografisches Wissen abgerufen, überhaupt irgendwie nachgedacht, hätte ich nächste oder übernächste Bahn genommen. Stattdessen beginne ich den Abstieg und das Unglück seinen Lauf. Unten angekommen geschieht Schreckliches und Schönes zu gleich: Die Wolken brechen plötzlich auf, das morgentliche goldgelbe Licht lässt den Himmel beinahe sakral erstrahlen, es spiegelt sich in den Partikeln der Luft. Auf der öden Wolkendecke zeichnen sich goldene Tupfer ab, es erscheinen Strukturen und Farben erstrahlen. Ich erwache das zweite Mal an diesem Morgen, diesmal scheinbar aus einer Trance. Was mache ich hier unten? Nichts ist härter als der Hammer der Erkenntniss und er trifft mich aus vollem Schwung. Zu früh! Eine halbe Stunde länger dort oben und ich würde jubeln. Nun stehe ich hier, wie zum Hohn scheinen die Jakobsleitern durch die nackten Äste, landen auf der Erde und lassen die Landschaft glänzen. Sie scheinen nicht für mich, oh nein. Sie scheinen für die Geduldigen, die Standhaften, ja, die Besonnenen. Ich aber stehe im Schatten des Berges, den ich verlassen habe, statt Morgenröte ziehrt Schamesröte mein Gesicht. Ich könnte zurück laufen, den Berg wieder hinauf rennnen, aber was hätte es für einen Zweck? Die Wolken ziehen zu schnell. Nein, ich habe meine Entscheidung getroffen, bereue sie zutiefst, aber zahle den Preis. Das Geschäft ist besiegelt und der Himmel verändert sich erneut. Das Licht stirbt und ich kehre heim. Ich sitze fassungslos im Zug. Wenn es einen Fotografen-Gott gibt, dann hat er mich gerade ausgelacht. Vielleicht gibt es eine religiöse Geschichte dazu, irgendeine Weisheit, ich bin darin nicht bewandert. Wer weiß, ob das etwas genützt hätte, muss man doch manches selber erleben. Auf dem Weg zur Erläuchtung gibt es keine Abkürzung. Mittlerweile haben sich alle Wolken verzogen und es ist klare Morgenluft. Es verspricht ein guter Tag zu werden. Ich bin statt mit einem Bild mit einer wichtigen Lehre zurückgekehrt.
Die Goldene Stunde ist heilig. Andere Lektionen musste ich ein paarmal wiederholen. Diese nicht.
ENDE.
------------------------------- Danke fürs lesen. Bitte den Text nicht all zu ernst nehmen. Ich habe mir einfach den Frust heute von der Seele schreiben müssen und ein wenig künstlerischer Freiheit ergänzt. Vielleicht gibt es ja hier im Forum den ein oder anderen Leidensgenossen. Oder der Text regt zur Diskussion oder zum Nachdenken an.
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